
Nelson Mandela 1918-2013 - ein Nachruf
Mahatma Gandhi, Vaclav Havel, Willy Brandt hatten es. Und Nelson Rolihlala Mandela natürlich auch: Ein Charisma, eine Magie, die kraftvoll genug ist, ganze Völker in ihren Bann zu ziehen. "Madiba magic" nannten die Südafrikaner das, eine Aura mit beinahe göttlichem Nimbus.
Denn obwohl der 94-jährige Mandela bereits seit Jahren für seine Landsleute unsichtbar war - 2006 zog er sich aus der Öffentlichkeit zurück - war er bis zuletzt dennoch immer da. Zumindest gefühlt, wie ein höheres Wesen.
Wenn die rassistischen Phrasen des Jugendliga-Chefs Julius Malema die Regierungspartei ANC in Erklärungsnot brachten, wenn die Verabschiedung eines neuen Mediengesetzes die Pressefreiheit gefährdeten, wenn wieder einmal Korruptionsaffären die Regierung von Präsident Jacob Zuma lähmten - dann wusste das mehrheitliche Südafrika der Vernunft, dass Madiba ihm beistand. Und Südafrikas politische Hitzköpfe, die es lieben, mit dem Feuer zu spielen, spürten den gestrengen Blick des Übervaters im Nacken.
Auftritte wie ein Popstar
Mandela hatte etwas erreicht, was in der Politik eher selten zu finden ist: Respekt und Verehrung über alle politischen und ethnischen Gräben, selbst über Landesgrenzen hinweg. Ob konservative Buren, ob Südafrikaner mit britischen oder indischen Wurzeln, ob Zulu, Xhosa, Sotho oder Coloureds: Ganz Südafrika, seine "Rainbow-Nation", liebte und verehrte ihn.
Einst hatten seine Auftritte etwas von Popkonzerten: Er, der Star, rief "Amandla!" (die Macht) - und die Masse raunte "Awethu" (dem Volke). Frauen kreischten, Jugendliche fanden seine bunten Hemden cool.
Selbst Todfeinde von einst himmelten ihn an: Im ausschließlich von Weißen bewohnten Burenstädtchen Orania bei Kimberley besuchte er, längst Präsident, Betsie Verwoerd, die hochbetagte Witwe des Erfinders des Apartheid-Systems. Mandela trank mit der zu Tränen gerührten Lady Tee.
Vom Anwalt zum Freiheitskämpfer
Als der 23-jährige Sohn einer Xhosa-Häuptlingsfamilie 1941 aus der provinziellen Transkei in die Metropole Johannesburg zog, galt er als großer Charmeur. Tanz und Boxen waren seine Leidenschaft. Wegen rebellischen Verhaltens war er zuvor von der Uni geflogen, verdiente sich später als Bergwerkspolizist sein Geld und erwarb per Fernstudium das Jura-Examen.
Sein Leben veränderte sich, als er den Rechtsanwalt Walter Sisulu kennen lernte: Mandela trat dem Afrikanischen Nationalkongress (ANC) bei, ein jahrzehntelanger Kampf gegen das 1948 von Verwoerd propagierte Apartheid-System begann.
Anders als Gandhi in Indien befürwortete Mandela auch bewaffnete Aktionen. In den Augen der Rassisten galt er ab sofort als Terrorist. 1962 wurde er inhaftiert, später zu lebenslanger Haft verurteilt. Zusammen mit Kampfgefährten verbüßte er eine 27-jährige Haft, überwiegend auf der Gefängnisinsel Robben Island vor den Toren Kapstadts.
Auch für seine damalige Frau Winnie und die beiden Töchter begann eine schwere Zeit. "Du bist Vater der Nation, warst aber nie für uns da", hielt ihm seine Tochter Zindzi später vor. Seine Freilassung 1990 war der Auftakt des friedlichen Wechsels in Südafrika. 1994 wurde er erster schwarzer Präsident des Landes.
Traum von der Gleichberechtigung
Es waren vor allem jene Jahre zwischen 1990 und 1994, die Mandelas Unsterblichkeit begründeten. "Die Lage in Südafrika war nach 1990 ungleich explosiver als in Afghanistan heute", sagt der Hamburger Staatsrechtler Professor Ulrich Karpen, der im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung in beiden Ländern half, eine Verfassung zu erarbeiten.
Dass es am Ende nicht zur Entladung kam "ist ganz maßgeblich der Weisheit eines Nelson Mandela und der milden Toleranz eines Desmond Tutu zu verdanken", sagt Karpen. Beide erhielten dafür den Friedensnobelpreis. In der Provinz Kwazulu Natal beschwor Mandela damals unter Lebensgefahr bis zu den Zähnen bewaffnete Zulu, von Gewalt gegen Angehörige seines Xhosa-Volkes abzusehen - und die "Madiba Magic" zeigte wieder einmal Wirkung.
Von Bischof Tutu übernahm er das schöne Idiom der "Regenbogennation" als Umschreibung des Traums von einem Land, in dem die verschiedenen Völker gleichberechtigt leben.
Gefürchtete Zwischenrufe
Ab 1994 als Präsident war Mandela eine weltweit bewunderte und gern gesehene Lichtgestalt, die das innenpolitische Klein-Klein aber den anderen überließ. "Thabo Mbeki und ich führten das Kabinett. Er war kein Präsident, der sich um das politische Tagesgeschäft kümmerte", erinnert sich Frederik Willem de Klerk, Südafrikas letzter weißer Präsident und ab 1994 unter Mandela dessen Vize.
Nach seinem Verzicht auf eine Wiederwahl, fand Mandela seine nächste Rolle: als gutes Gewissen der Nation. Seine Zwischenrufe waren gefürchtet - und hatten zumeist Wirkung, wenn es beispielsweise um Präsident Mbekis verworrene Anti-Aidsstrategie oder Südafrikas Schweigen zu den Geschehnissen im Nachbarland Simbabwe ging.
Dem britischen Premier Tony Blair wusch er den Kopf, wie man es sonst bei Lausbuben tut: London war auf dem Wege, sich an der Seite Amerikas in das Irak-Abenteuer zu stürzen. Sein letzter großer Triumph: Er kämpfte um die Vergabe der Fußballweltmeisterschaft an sein Heimatland, reiste 2004 extra nach Zürich, um der Entscheidung beizuwohnen. Und ließ es sich sechs Jahre später nicht nehmen, der Abschlussfeier in Johannesburg beizuwohnen - sein letzter öffentlicher Auftritt.
Bei den Feierlichkeiten in Bloemfontein zum 100. Geburtstag des African National Congress, der ältesten politischen Bewegung Afrikas, blieb Madibas Platz leer.
Rückzug in die Heimat
Während man ihm landesweit Denkmäler errichtete, Stadien nach ihm benannte, sein Konterfei auf Münzen prägte und sein Leben in Comics nachzeichnete, entschwand Madiba allmählich aus dem öffentlichen Leben.
Seit Juli 2011 lebte Nelson Rolihlala Mandela zurückgezogen in seinem Heimatort Qunu nahe Umtata in der früheren Transkei. Es ist der Ort, wo er, der Sohn eines Häuptlings, einst als Sechsjähriger Ziegen hütete. Und wo die Gebeine seiner Vorfahren liegen.
Am 5. Dezember starb Mandela um 20.50 Uhr Ortszeit im Kreise seiner Familie in Johannesburg. Madiba hat dem neuen Südafrika Leben eingehaucht, hat es durch die schwierigen Anfangsjahre begleitet. Ohne ihn muss das Land zeigen, dass es tatsächlich mündig geworden ist.
INFORMATIONEN
Die südafrikanische Regierung hat eine Website eingerichtet mit aktuellen Infos zu den Trauerfeierlichkeiten und zu Madibas Leben, mit Reden, Zitaten, Fotos und Videos: www.mandela.gov.za
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